Abfälle aus der Tomatenverarbeitung sollen künftig Flugzeuge antreiben. Unter der Leitung der TU Graz entwickelt das EU-Projekt ToFuel ein neues Bioraffineriekonzept, das Tomatenreste in nachhaltigen Flugkraftstoff sowie in Dünger, Tierfutter und Speiseöl umwandelt. Das Forschungsteam strebt einen abfallfreien und klimaneutralen Prozess an, der gleichzeitig wirtschaftlich konkurrenzfähig ist und damit einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Luftverkehrs leistet.
Reststoff als wertvolle Ressource
Weltweit sind Tomaten nach Kartoffeln das am zweithäufigsten konsumierte Gemüse. Die EU ist mit rund 17 Megatonnen geernteter Tomaten der drittgrößte Produzent. Bei der Tomatenproduktion fallen allerdings große Mengen an Restbiomasse an – Pflanzenmaterial wie Blüten, Blätter und Stängel, Schalen, Samen und Tomaten von ungenügender Qualität. Diese Reste werden größtenteils als Agrarabfall verbrannt oder teuer entsorgt.
Gleichzeitig hängt das Ziel der europäischen Klimaneutralität und damit einhergehend die Reduktion von CO₂-Emissionen des Luftfahrtsektors ganz wesentlich an der Produktion nachhaltiger und konkurrenzfähiger Flugtreibstoffe (Sustainable Aviation Fuels; SAF) aus erneuerbaren Rohstoffen. „Aus der EU-weit anfallenden Menge an sogenanntem Tomatentrester, also den Rückständen aus der Tomatenverarbeitung, ließen sich Schätzungen zufolge rund drei Prozent der bis 2030 in Europa benötigten Sustainable Aviation Fuels decken“, führt Projektleiterin Marlene Kienberger vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz aus.
Von der Pflanze zum Öl zum Flugtreibstoff
Damit aus Tomatenresten ein hochwertiger Treibstoff entsteht, muss die Biomasse zuerst so aufbereitet werden, dass Mikroorganismen sie effizient verwerten können. ToFuel untersucht dafür zwei moderne Fraktionierungstechnologien. Bei der Extrusion wird die Biomasse unter Wärme und Druck behandelt und anschließend durch einen abrupten Druckabfall in ihre zellulären Bestandteile aufgebrochen. So entsteht eine optimal aufgeschlossene Biomasse für die folgende Fermentation, bei der Mikroorganismen Lipide produzieren, die später zu Flugtreibstoff verarbeitet werden. Bei der zweiten Fraktionierungstechnologie, der hydrothermalen Verflüssigung, wird die Biomasse unter hohem Druck und hohen Temperaturen in Bioöl und Biokohle umgewandelt. Bevor das gewonnene Bioöl zu Flugkraftstoff veredelt werden kann, muss es von vorwiegend stickstoffhaltigen Störionen gereinigt werden. Diese unerwünschten Ionen würden sonst die folgende Umwandlung in einen nachhaltigen Flugtreibstoff negativ beeinflussen. Die entsprechenden Fraktionierungs-, biotechnologischen- und Reinigungsprozesse entwickeln das Laboratório Nacional de Energia e Geologia (LNEG)in Lissabon, die TU Graz und die Universität Zagreb in enger Zusammenarbeit.
Anschließend werden die Lipide und das Bioöl an der Montanuniversität Leoben über den HEFA-Prozess in einen Treibstoff umgewandelt, der die internationalen Qualitätsstandards für nachhaltigen Flugtreibstoff erfüllt. HEFA steht für „Hydrierte Ester und Fettsäuren“ und ist ein Verfahren zur Herstellung von nachhaltigem Flugkraftstoff aus pflanzlichen, tierischen oder recycelten Fetten und Ölen. Die im Projekt entwickelten Verfahren werden schrittweise auf einen vorindustriellen Maßstab hochskaliert und umfassend getestet. Konsortialführerin Marlene Kienberger betont: „Unser klares Ziel ist es, nachhaltigen Flugkraftstoff auf Basis von Tomatenresten um einen konkurrenzfähigen Verkaufspreis zu produzieren. Nachhaltige Flugzeugtreibstoffe müssen sich letztendlich einfach auch wirtschaftlich lohnen.“ Zusätzlich analysiert das Projektteam die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Technologien. Die Nutzung von Tomatenresten schafft zudem neue Einnahmequellen für die Lebensmittelverarbeitung.
Starkes europäisches Konsortium
Offizieller Projektstart von „ToFuel - An integrated Biorefinery for Sustainable Aviation Fuel Production from Tomato Residues“ ist am 1.1.2026. Insgesamt elf Partner aus sieben europäischen Ländern arbeiten an ToFuel. Neben der TU Graz gehören dazu unter anderem das portugiesische Forschungsinstitut LNEG, die Universität Zagreb, die TU Wien, die Technische Universität Lappeenranta in Finnland, die Montanuniversität Leoben und die Fraunhofer-Gesellschaft. Die Industriepartner Mutti und Podravka stellen Tomatenreste bereit und bringen ihr langjähriges Know-how in der Verarbeitung pflanzlicher Rohstoffe ein. Begleitet wird die Forschung mit einer umfassenden Verwertungs- und Veröffentlichungsstrategie, welche von den Projektpartnern ESEIA und EEIP erarbeitet wird. Im Rahmen des Projekts sollen mindestens sechs PhDs, zwölf Master- und 15 Bachelorstudierende ausgebildet werden. Das Projektbudget beträgt 3,5 Millionen Euro über vier Jahre, eine Million davon entfallen an die Konsortialführerin TU Graz.