Im Kampf gegen Lärm zählt auf dem Bau jeder Zentimeter. Klassische Schallabsorber bestehen jedoch meist aus voluminösen Materialien wie Steinwolle oder Melaminschaum. Um auch tiefe Schallfrequenzen wirksam zu dämpfen, sind dicke Dämmschichten notwendig – was Platz kostet, gestalterisch einschränkt und im Aussenbereich oft nicht umsetzbar ist. Gemeinsam mit der Firma de Cavis haben Empa-Forschende deshalb ultradünne Schallabsorber aus mineralischen Gips- oder Zementschäumen entwickelt. Diese sind genauso wirksam wie herkömmliche Absorber, aber rund viermal dünner. Weitere Vorteile: Die Schäume lassen sich gezielt auf bestimmte Frequenzbereiche abstimmen sowie einfach zuschneiden und montieren. Hergestellt aus Gips oder Zement, können sie feuerfest und recycelbar sein, und setzen keine gesundheitsschädlichen Partikel frei. Zementschäume sind zudem wetterfest und damit auch für den Aussenbereich geeignet.
Labyrinth für Schallwellen
Die hohe Schallabsorption trotz geringer Materialdicke beruht laut Empa-Forscher Bart Van Damme auf einer patentierten Konstruktion: «Die variierende Porenstruktur der mineralischen Schäume zwingt die Luftpartikel auf einen längeren Weg, um ins Material und wieder hinauszugelangen. Trotz geringer Dicke entsteht so für die Schallwellen der Eindruck eines viel dickeren Absorbers.» Entscheidend dafür sind möglichst grosse Poren mit möglichst dünnen Porenwänden. Für die neuartigen Schallabsorber verwenden die Forschenden der Empa-Abteilung Akustik/Lärmminderung mehrere poröse Schichten. Dabei variieren sie nicht nur die Dicke der einzelnen Schichten und die Grösse der Poren, sondern versehen sie zusätzlich noch mit kleinsten Löchern. Während sich die Schäume aus Gips oder Zement mit etablierten Verfahren und über 90 Prozent Porenanteil herstellen lassen, erfolgt die Perforierung derzeit noch von Hand.
Mit Hilfe eines numerischen Modells bildeten die Forschenden zudem nach, wie auf kleinster Ebene die Luft durch die Poren der Mineralschäume strömt. «So lässt sich das akustische Verhalten des gesamten Materials simulieren – und durch Variation von Porengrösse, Perforation und Schichtaufbau gezielt beeinflussen», sagt Van Damme.
Massgefertigt statt massig
Verkehrslärm bewegt sich typischerweise im Bereich zwischen 500 und 1000 Hertz. Modellberechnungen zeigen, dass für diesen Frequenzbereich vier abgestimmte Schichten aus feinporigem Mineralschaum mit einer Gesamtdicke von rund 5,5 Zentimetern als Dämmmaterial ausreichen. Ein erster Prototyp mit insgesamt zwölf Quadratmetern Fläche wurde bereits in einer Hofeinfahrt zusammen mit der Stadt Zürich getestet. In der vorgängigen Simulation der Einfahrt optimierten die Forschenden die Anordnung der einzelnen Paneele an den Wänden. Kontrollierte Messungen vor Ort bestätigten die Prognosen: Der Lärmpegel sank dank den 72 Paneelen um bis zu 4 Dezibel. Besonders deutlich war die Wirkung bei vorbeifahrenden Autos, die sich der Einfahrt näherten oder von ihr entfernten, da der Schall auf dem Weg in den Innenhof mehrfach an den Paneelen reflektiert wird.
Im Vergleich mit herkömmlicher Steinwolle zeigte sich: Die neuen Absorber sind bei tiefen Frequenzen zuverlässiger, bei höheren dagegen etwas weniger effizient – reduzieren aber dennoch die Schallübertragung im Bereich der Spitzenabsorption. «Bereits eine so kompakte Installation wie in der Einfahrt senkt also den Lärm deutlich», so das Fazit von Van Damme.
Prädestiniert für Spezialanwendungen
Die mineralischen Schallabsorber könnten künftig also bei lärmbelasteten Strassen in Einfahrten, unter Balkonen oder an Fassaden nachträglich montiert werden. Voraussetzung ist wie bei allen offenporigen Absorbern ein Schutz vor Witterung und Verschmutzung, etwa durch eine perforierte Deckschicht. «Idealerweise werden die Absorber bei Neubauten bereits im architektonischen Entwurf berücksichtigt», erläutert Van Damme. Darüber hinaus lassen sich die Elemente gut in Treppenhäusern oder grossen Innenräumen wie Büros, Kantinen oder Sporthallen integrieren – auch aus gestalterischer Sicht, da der poröse Mineralschaum aus demselben Material wie die Wandoberflächen besteht.
Die Idee für den Absorber entstand laut Bart Van Damme bereits vor einigen Jahren. Der Durchbruch gelang jedoch erst durch die Kombination von Materialentwicklung und akustischer Modellierung im Rahmen eines Innosuisse-Projekts. Dank der Modellierung lässt sich der Absorber nun flexibel massanfertigen: Soll er besonders tiefe Töne dämpfen wie etwa in grossen Sälen? Oder eher im Mitteltonbereich wirken wie zum Beispiel bei Verkehrslärm, in Büros oder Klassenzimmern?
Aktuell ist die Fertigung noch aufwendig und erfolgt zum Teil von Hand. Gemeinsam mit einem geeigneten Industriepartner soll das Material nun weiterentwickelt und in grösserem Massstab produziert werden. Denn das Potenzial ist da – vor allem für Spezialanwendungen, bei denen begrenzter Platzbedarf, Brandschutz und Designanspruch gleichzeitig berücksichtigt werden müssen.
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