Raumbezogene Big-Data-Methoden ermöglichen die Kartierung von potentiellen Lebensräumen
Mit dem Ziel, existierende Strategien zur Bekämpfung der Stechmücke Aedes aegypti zu verbessern, hat der Geoinformatiker Dr. Steffen Knoblauch eine hochauflösende Umwelteignungskarte für Rio de Janeiro (Brasilien) erstellt. Sie kann bei der Identifizierung von Gebieten helfen, die die Vermehrung der Mücken begünstigen. Grundlage dafür bilden raumbezogene Big-Data-Methoden, die der Wissenschaftler am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) der Universität Heidelberg und am HeiGIT (Heidelberg Institute for Geoinformation Technology) entwickelt hat. Dabei kommen frei verfügbare Geodaten wie Satelliten- und Street-View-Bilder sowie Klimadaten zum Einsatz.
Die Stechmücke Aedes aegypti überträgt Infektionskrankheiten wie Dengue, Zika, Chikungunya und Gelbfieber. Das auch als Ägyptische Tigermücke bekannte Insekt brütet bevorzugt in stehendem Wasser, das sich in künstlichen Behältern sammelt, darunter Wassertanks, ausrangierte Reifen, Topfpflanzen und Regenwasserabflüssen. Mit weltweiten Entwicklungen wie der zunehmenden Urbanisierung vergrößern sich die Lebensräume, in denen sich die Stechmücke ansiedeln kann, wie Dr. Knoblauch von der am IWR angesiedelten Forschungsgruppe Geoinformatik erläutert. Da die globale Verfügbarkeit von Impfstoffen für die von der Stechmücke übertragenen Krankheiten mit Ausnahme von Gelbfieber noch begrenzt sind, bleibt die Vektorkontrolle – die Beseitigung von Brutstätten oder die gezielte Anwendung von Insektiziden – die derzeit effektivste Bekämpfungsmöglichkeit.
„Für eine effiziente und kostengünstige Vektorkontrolle in heterogenen städtischen Ballungsgebieten sind präzise Karten mit potentiell geeigneten Lebensräumen von Aedes aegypti unerlässlich“, erklärt Dr. Knoblauch. Dabei stellt die Herstellung von räumlich zusammenhängenden Karten insbesondere für Landschaften mit unterschiedlicher Topographie und Bebauung eine große Herausforderung dar. Die begrenzte, ohne Windunterstützung auf unter 1.000 Meter geschätzte Flugweite der Mücke sowie die heterogene städtische Landschaft, die die Verfügbarkeit der Brutplätze beeinflusst, können zu einer hohen räumlichen Variabilität der Stechmücken-Vorkommen führen. Sie lässt sich nur schwer mit herkömmlichen, stichprobenbasierten entomologischen Monitoring-Systemen messen, wie Dr. Knoblauch betont.
Grundlage für den von Steffen Knoblauch verfolgten Ansatz war die Annahme, dass frei verfügbare Geodaten wie Satelliten- und Street-View-Bilder dabei helfen können, diese Einschränkungen zu überwinden. Tatsächlich ließen sich mit derartigen Daten bis zu 75 Prozent der räumlichen Variationen modellieren, die bei entomologischen Feldmessungen in der Stadt Rio de Janeiro beobachtet wurden. Aus den Geodaten konnte der Wissenschaftler mithilfe von Geospatial Artificial Intelligence (GeoAI) und Raum-Zeit-Modellierung 79 Umwelteignungsindikatoren für Aedes aegypti gewinnen. Dazu gehörten – neben weiteren Faktoren – die relative Dichte potentieller Brutstätten, stadtmorphologische Merkmale sowie Klimavariablen wie die Ansammlung von Regenwasser und Hitzeinseleffekte in Städten. Um das Vorkommen der Mücken in Raum und Zeit unter Berücksichtigung von Unsicherheiten zu schätzen, kam ein sogenanntes Bayes’sches Modell zur Anwendung.
Auf diesem Weg konnte die erste räumlich zusammenhängende Umwelteignungskarte für Aedes aegypti-Stechmücken auf Habitatebene erstellt werden. Sie bietet wichtige Anhaltspunkte für gezieltere Interventionen insbesondere in städtischen Gebieten, in denen Aedes-Mücken verbreitet vorkommen. „Der Ansatz, frei verfügbare Geodaten mit entomologischen Überwachungsdaten zu kombinieren, lässt sich auf andere Gebiete mit ähnlichen Umweltbedingen übertragen. Damit können wir Verbreitungskarten von Stechmücken erstellen, die die hohe räumliche Variabilität ihrer Lebensräume abbilden”, sagt Dr. Knoblauch. „Dadurch lassen sich genauere Vorhersagen als bisher dazu treffen, wo sich die Mücken voraussichtlich vermehren werden.”
An den Arbeiten haben auf Heidelberger Seite mehrere Forschungsgruppen der Universität und des Universitätsklinikums Heidelberg mitgewirkt, so die Gruppen von Prof. Dr. Joacim Rocklöv, Prof. Dr. Dr. Till Bärnighausen und Prof. Dr. Peter Dambach am Heidelberger Institut für Global Health und die Abteilung Geoinformatik unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander Zipf. Ebenfalls beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Brasilien, Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Singapur, Thailand und den USA. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Österreichische Wissenschaftsfonds haben das Projekt unterstützt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „The Lancet Planetary Health“ veröffentlicht.
Regions: Europe, Germany, Switzerland, Latin America, Brazil, Asia, Singapore, Thailand, North America, United States
Keywords: Health, Environmental health, Science, Environment - science, Applied science, Computing, Artificial Intelligence