Wie unser Darm altert: Neue Studie zeigt, warum wichtige Gene im Alter „verstummen“
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Wie unser Darm altert: Neue Studie zeigt, warum wichtige Gene im Alter „verstummen“


Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena, Deutschland, sowie des Zentrums für Molekulare Biotechnologie in Turin und der Universität Turin, in Italien, haben einen grundlegenden Mechanismus des Alterns im Darm entdeckt. Im Lebensverlauf sammelt sich in Darmstammzellen eine spezifische Form von epigenetischer Alterung an – die sogenannte ACCA-Drift. Das führt durch Hypermethylierung zur Stilllegung wichtiger Gene. Diese Drift breitet sich über die Darmkrypten aus und wird durch eine Kombination aus altersbedingten Entzündungen, geschwächtem Wnt-Signalweg und gestörtem Eisenstoffwechsel verursacht, der die Aktivität von DNA-modifizierenden Enzymen beeinträchtigt. Die Ergebnisse liefern neue Erklärungen dafür, warum das Darmkrebsrisiko mit zunehmendem Alter steigt und welche molekularen Prozesse dabei eine Rolle spielen.

Jena/Turin/Jerusalem. Der menschliche Darm erneuert sich schneller als jedes andere Gewebe: Alle paar Tage werden aus spezialisierten Stammzellen neue Zellen gebildet. Doch mit zunehmendem Alter sammeln sich genau in diesen Stammzellen epigenetische Veränderungen an. Dabei handelt es sich um chemische Marker auf der DNA, die wie Schalter wirken und bestimmen, welche Gene aktiv bleiben.

Eine kürzlich in Nature Aging veröffentlichte Studie eines internationalen Teams unter Leitung von Prof. Francesco Neri von der Universität Turin, Italien, zeigt, dass Veränderungen im Darm nicht zufällig auftreten. Vielmehr entwickelt sich im Laufe des Alterns ein spezifisches Muster, das die Forschenden als ACCA-Drift ((Aging- and Colon Cancer-Associated) bezeichnen. „Wir beobachten ein epigenetisches Muster, das mit zunehmendem Alter immer deutlicher wird“, erläutert Prof. Neri, ehemaliger Gruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut in Jena.

Besonders betroffen sind Gene, die das Gleichgewicht in gesundem Gewebe aufrechterhalten, darunter auch solche, die die Erneuerung des Darmepithels über den Wnt-Signalweg steuern. Die als „Drifting“ bezeichneten Veränderungen lassen sich nicht nur im alternden Darm nachweisen, sondern auch in fast allen untersuchten Darmkrebsproben. Dies deutet darauf hin, dass die Alterung von Stammzellen ein Umfeld schafft, das die Entstehung von Krebs begünstigt.

Flickwerk des Alterns: Gewebebereiche sind unterschiedlich betroffen

Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Drift nicht gleichmäßig über den Darm verteilt. Jede Darmkrypta – ein kleiner, röhrenförmiger Abschnitt der Darmschleimhaut – entsteht aus einer einzigen Stammzelle. Wenn diese Stammzelle epigenetische Veränderungen durchläuft, übernimmt die gesamte Krypta diese Veränderungen. Dr. Anna Krepelova erklärt den Prozess folgendermaßen: „Mit der Zeit entstehen im Gewebe immer mehr Bereiche mit einem älteren epigenetischen Profil. Durch den natürlichen Prozess der Kryptenteilung vergrößern sich diese Regionen kontinuierlich und können über viele Jahre hinweg weiterwachsen.“

Das erklärt, warum der Darm älterer Menschen ein wahres Flickwerk aus jung gebliebenen und deutlich gealterten Krypten aufweist und warum bestimmte Regionen besonders anfällig für die Bildung degenerierter Zellen sind, was das Krebswachstum fördert.

Ein gestörter Eisenstoffwechsel schaltet Reparatursysteme ab

Doch wodurch entsteht das Drifting überhaupt? Die Forschenden konnten nachweisen, dass ältere Darmzellen weniger Eisen aufnehmen, aber gleichzeitig mehr Eisen abgeben. Dadurch verringert sich die Menge an verfügbarem Eisen (II) im Zellkern, das als Cofaktor für die TET-Enzyme (sogenannte „Ten-Eleven Translocation“) dient. Diese Enzyme schützen normalerweise vor übermäßigen DNA-Methylierungen, aber wenn die Zelle nicht genug Eisen hat, dann können sie ihre Aufgabe nicht mehr richtig ausüben. Überschüssige DNA-Methylierungen werden nicht mehr abgebaut.

„Wenn in den Zellen das Eisen fehlt, bleiben fehlerhafte Markierungen auf der DNA zurück. Und die Zellen verlieren ihre Fähigkeit, diese Markierungen zu entfernen”, erläutert Dr. Krepelova. Dies hat eine Art Dominoeffekt: Mit abnehmender TET-Aktivität sammeln sich immer mehr DNA-Methylierungen an, und wichtige Gene werden ausgeschaltet; sie „verstummen“. Das kann die epigenetische Drift weiter beschleunigen.

Entzündungen und gestörte Wnt-Signalwege beschleunigen die Alterung

Ferner konnte das Forscherteam nachweisen, dass leichte Entzündungsprozesse im Darm, die mit dem Alternsprozess einhergehen, diesen Mechanismus noch verstärken. Entzündungssignale verändern die Eisenverteilung in der Zelle und belasten den Stoffwechsel. Gleichzeitig wird auch die Wnt-Signalübertragung geschwächt – ein Signalweg, der für die Aktivität und Funktionsfähigkeit von Stammzellen wichtig ist.

Diese Kombination aus Eisenmangel, Entzündung und Verlust der Wnt-Signalübertragung wirkt wie ein „Beschleuniger” der epigenetischen Drift. Dadurch kann der Alternsprozess im Darm früher einsetzen und sich schneller ausbreiten als bisher angenommen.

Die Alterungsdrift lässt sich beeinflussen

Trotz der Komplexität des Mechanismus liefert die Studie auch ermutigende Ergebnisse. Den Forschenden gelang es, die epigenetische Drift in Organoidkulturen – aus Darmstammzellen gezüchteten Mini-Darmmodellen – zu verlangsamen oder teilweise umzukehren, indem sie den Eisenimport wiederherstellten, oder gezielt den Wnt-Signalweg aktivierten.

Beide Maßnahmen führten dazu, dass die TET-Enzyme wieder aktiver wurden und die Zellen erneut begannen, die Methylierungen abzubauen. „Das bedeutet, dass epigenetisches Altern kein fester, endgültiger Zustand sein muss”, betont Dr. Krepelova. „Zum ersten Mal sehen wir, dass es möglich ist, die Stellschrauben des Alterns, die tief im molekularen Kern der Zelle liegen, zu beeinflussen.“

Publikation
Anna Krepelova, Mahdi Rasa, Francesco Annunziata, Jing Lu, Chiara Giannuzzi, Omid Omrani, Elisabeth Wyart, Paolo Ettore Porporato, Ihab Ansari, Dor Bilenko, Yehudit Bergman & Francesco Neri. Iron homeostasis and cell clonality drive cancer-associated intestinal DNA methylation drift in aging. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-01021-x
https://www.nature.com/articles/s43587-025-01021-x
Anna Krepelova, Mahdi Rasa, Francesco Annunziata, Jing Lu, Chiara Giannuzzi, Omid Omrani, Elisabeth Wyart, Paolo Ettore Porporato, Ihab Ansari, Dor Bilenko, Yehudit Bergman & Francesco Neri. Iron homeostasis and cell clonality drive cancer-associated intestinal DNA methylation drift in aging. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-01021-x
Fichiers joints
  • FLI-Pressemitteilung (pdf)
  • Im alternden Darm führt die ACCA-Drift, eine zunehmende DNA-Hypermethylierung in Darmstammzellen, zur Abschaltung wichtiger Gene. Dadurch wird die Selbsterneuerung der Darmkrypten eingeschränkt und die Regenerationsfähigkeit des Gewebes reduziert, was das Darmkrebsrisiko im höheren Lebensalter deutlich erhöht. (Abbildung: FLI / Kerstin Wagner)
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