Die solare Grundversorgung: Sonnenstrom für alle
en-GBde-DEes-ESfr-FR

Die solare Grundversorgung: Sonnenstrom für alle

26/06/2025 Empa

Was fehlt uns, um die Energiewende zu meistern? Die Technologien für die Produktion und Speicherung erneuerbarer Energien sind vorhanden und entwickeln sich stetig weiter. Die Schwierigkeit liegt bei der Umsetzung. Es gilt, Wirtschaft, Politik und die Öffentlichkeit mit ihren teilweise gegensätzlichen Interessen unter ein (Solar-)Dach zu bringen. Die Empa-Forschenden Harald Desing, Hauke Schlesier und Marcel Gauch aus der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» haben einen Vorschlag erarbeitet, wie die Energiewende rasch, nachhaltig und sozialverträglich gemeistert werden könnte – sei es auf der ganzen Welt, in der Schweiz oder auch nur in einer einzelnen Gemeinde. Die Studie dazu wurde in der Fachzeitschrift «Progress in Energy» veröffentlicht.

Ihr Modell nennen die Forschenden die «solare Grundversorgung». Demnach soll jeder Mensch ein persönliches Solarstrom-Budget von 500 Watt (entspricht 4400 Kilowattstunden pro Jahr) erhalten – finanziert von der Allgemeinheit. «Viele essenzielle Dienste werden bereits als Grundversorgung zur Verfügung gestellt, etwa Strassen, Bildung sowie Wasserversorgung und Kanalisation. Warum nicht also auch die Grundlage für die Energiewende?», erklärt Harald Desing, der Erstautor der Studie. «Grundlage» ist ein wichtiges Stichwort. Solare Grundversorgung bedeutet nämlich nicht, dass der Staat den ganzen Energiebedarf der Gesellschaft kostenlos deckt. Die 500 Watt reichen – zumindest in der Schweiz – dafür aus, um die Stromlücke zu schliessen, die durch den Wegfall fossiler Energieträger entsteht. Das Modell sieht allerdings keine öffentlichen Stromspeicher vor. Will heissen: Der öffentliche Strom ist nur dann frei verfügbar, wenn die Sonne scheint.

Diese Einschränkung erfüllt gleich zwei wichtige Funktionen: Zum einen soll sie Individuen und Unternehmen motivieren, ihr Verhalten anzupassen und vor allem dann Strom zu verbrauchen, wenn er kostenlos zur Verfügung steht. Die Forschenden sprechen von einer «Sonnenblumengesellschaft», die sich wie ihre Namensgeberin stets nach der Sonne richtet. Zum anderen spart der Verzicht Geld. «Der Bau von Speichern verteuert die Energiewende», weiss Desing. «Deshalb gehört die Energiespeicherung in unserem Modell nicht zur Grundversorgung, sondern ist vielmehr eine Annehmlichkeit, die weitere private Investitionen erfordern wird.»

Innerhalb von fünf Jahren machbar

Da 500 Watt etwas mehr sind als zur Deckung der Grund-Energiebedürfnisse notwendig, können Bürgerinnen und Bürger ihre ungenutzte Energie verkaufen. Denkbar wäre etwa, die Energieäquivalente als Zahlungsmittel für Elektromobilität oder den öffentlichen Verkehr zu verwenden. Menschen, die wenig Energie verbrauchen, profitieren davon am meisten – ein wichtiger sozialer Ausgleichsfaktor, so die Forschenden. «Heute setzt der Staat über Subventionen Anreize für die Energiewende», sagt Desing. «Davon profitiert aber nur der wohlhabende Teil der Gesellschaft, denn man muss Boden besitzen und das Restkapital stellen. In unserem Modell profitieren auch Mieterinnen und Mieter und Menschen ohne grosse Ersparnisse von der gemeinsamen Investition.»

Was es konkret bedeuten würde, die solare Grundversorgung zur Realität zu machen, haben die Forschenden für die Schweiz durchgerechnet. 500 Watt Solarstrom entsprechen etwa 21 Quadratmeter Solarfläche pro Person. «Das wäre in der Schweiz etwa jedes dritte Dach», sagt Desing. Auch Parkplätze, Lärmschutzwände und ungenutzte Flächen entlang von Autobahnen und Bahnlinien kämen dafür in Frage – wichtig sei, dass vor allem die bereits bebaute Fläche zur Installation der Solarpanels verwendet wird und kein neuer Boden dafür umgenutzt werden muss, betont Desing. Auch aus diesem Grund basiert die Grundversorgung auf Sonnenenergie: Photovoltaik lässt sich schnell, einfach und dezentral installieren, sie fügt sich gut ins Stadtbild ein, ist wartungsarm und verursacht weder Lärm noch Sichtbeeinträchtigung.

Um in der Schweiz innerhalb von fünf Jahren eine öffentliche Solaranlage aufzubauen, wäre eine Investition von rund 58 Milliarden Franken notwendig. Das entspricht etwa 1% des Bruttoinlandprodukts über fünf Jahre – vergleichbar mit den jährlichen Investitionen in die Strassen (Quelle) oder das Doppelte der Militärausgaben (Quelle). Auszahlen würde sich die Investition bereits innerhalb von sechs bis sieben Jahren nach der Inbetriebnahme – obwohl die öffentliche Solaranlage nicht auf Profit ausgelegt ist. «Die Endverbraucher geben heute rund 20 Milliarden Franken pro Jahr für fossile Energieträger aus. Die solare Grundversorgung liefert genügend Strom, sodass diese Ausgaben auf Null reduziert werden könnten.» Die Kosten für die regelmässige Erneuerung der öffentlichen Solaranlage würden sich auf rund 6'600 Franken pro Person alle 30 Jahre belaufen, rechnen die Forschenden.

Fachkräfte und Materialien sichern

Auch, wenn es durchaus machbar ist: Ganz ohne Herausforderungen ginge der Aufbau einer Solaranlage in dieser Grösse natürlich nicht. Eine der Hürden sind die Fachkräfte. Die Forschenden plädieren für einen möglichst raschen Aufbau, um schnell vom Verzicht auf fossile Brennstoffe zu profitieren. Rund 50'000 Fachkräfte wären nötig, um die Schweiz innerhalb von fünf Jahren auf die solare Grundversorgung umzustellen. Allerdings braucht nur ein Bruchteil davon eine fundierte Ausbildung. Das Gros der Installationsarbeit kann bereits nach wenigen Wochen Training kompetent erledigt werden. «Es gibt schon heute sogenannte Solarcamps, wo man innert kürzester Zeit lernt, Solarpanels zu installieren», sagt Desing. Der Forscher stellt sich etwa ein «Solarjahr» vor, bei dem junge Menschen im Sinne des Gemeinschaftswohls arbeiten, beispielsweise als Alternative zum Militär- oder Zivildienst. Noch ein Vorteil: Während für fossile Brennstoffe Schweizer Gelder ins Ausland fliessen, bleibt ein grosser Teil der Investition für die Solaranlage – nämlich die Kosten für die Installation – in der Schweiz.

Eine weitere Herausforderung stellen die Materialien für die Paneele dar – doch auch sie ist lösbar, sind die Forschenden überzeugt. Der Hauptbestandteil der Zellen, das Halbmetall Silizium, ist das häufigste Element in der Erdkruste und überall auf der Welt vorhanden. Kritischer sind Silber, Zinn und Aluminium, die jeweils als Stromleiter, Lot und Rahmen- und Befestigungsmaterial eingesetzt werden. Der Bedarf an Zinn und Aluminium lässt sich durch verbesserte Konstruktion der Paneele stark reduzieren. An Ersatzmaterialien für Silber wird zurzeit geforscht – für den Aufbau der öffentlichen Solaranlage wäre dies aber nicht einmal notwendig: «Weltweit befindet sich mehr Silber in Besteckschubladen, als nötig wäre, um für alle auf der Erde 500 Watt Solarstrom zu Verfügung zu stellen», so Desing. Die Produktion der Solarpanels, die heute überwiegend in China stattfindet, könnte im Rahmen der Umstellung nach Europa verlagert werden und die hiesige Industrie stärken.

Den Klimawandel rückgängig machen

Das in der Studie beschriebene Modell sei ein erster Vorschlag und in vielen Punkten flexibel, sagt Harald Desing. Seine genaue Umsetzung müsse im öffentlichen Diskurs geklärt werden. Der grosse Vorteil der solaren Grundversorgung liegt darin, dass die Gemeinde, der Kanton oder das Land, das sie umsetzt, unmittelbar und direkt davon profitieren. Damit das Modell seine beabsichtigte Wirkung entfalten kann, müssen aber einige Punkte besonders beachtet werden. «Die kostenlose Energie soll nicht dazu verführen, sie zu verschwenden», ermahnt Desing. «Ausserdem muss der Aufbau der solaren Grundversorgung ganz klar mit dem Verzicht auf fossile Brennstoffe einhergehen.» Auch auf die soziale Fairness müsse ein besonderes Augenmerk gelegt werden.

Der Forscher ist überzeugt, dass die solare Grundversorgung Investitionen in andere erneuerbare Energien wie Wind und Wasser attraktiver machen würde, da sie die Sonnenenergie komplementär ergänzen und auch dann zur Verfügung stehen, wenn der Solarstrom knapp wird. Auch der weitere Ausbau der Solarkapazitäten würde sich in gewissen Fällen lohnen. «Je mehr Solarkapazität wir haben, desto mehr Strom haben wir auch zu Randzeiten oder bei schlechtem Wetter, wenn die Solarpanels weniger Ertrag liefern», erklärt Desing. Und wenn die Sonne wieder scheint? «Der Stromüberschuss könnte dazu dienen, der Atmosphäre historische CO₂-Emissionen zu entziehen und zu Kohlenstoff-bindenden Materialien zu verarbeiten.» Auch das ist aktuell Forschungsgegenstand an der Empa im Rahmen der Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere».
H Desing, H Schlesier, M Gauch: Solar basic service—an idea for just acceleration of the energy transition; Progress in Energy (2025); doi: 10.1088/2516-1083/adc370
Fichiers joints
  • Die Idee der solaren Grundversorgung im Überblick. Die Investitionskosten würden sich durch den Verzicht auf fossile Brennstoffe rasch auszahlen und könnten beispielsweise durch eine Emissionssteuer gedeckt werden. Grafik: Empa
26/06/2025 Empa
Regions: Europe, Switzerland, United Kingdom, Asia, China, Extraterrestrial, Sun
Keywords: Science, Energy, Applied science, Technology, Business, Renewable energy

Disclaimer: AlphaGalileo is not responsible for the accuracy of content posted to AlphaGalileo by contributing institutions or for the use of any information through the AlphaGalileo system.

Témoignages

We have used AlphaGalileo since its foundation but frankly we need it more than ever now to ensure our research news is heard across Europe, Asia and North America. As one of the UK’s leading research universities we want to continue to work with other outstanding researchers in Europe. AlphaGalileo helps us to continue to bring our research story to them and the rest of the world.
Peter Dunn, Director of Press and Media Relations at the University of Warwick
AlphaGalileo has helped us more than double our reach at SciDev.Net. The service has enabled our journalists around the world to reach the mainstream media with articles about the impact of science on people in low- and middle-income countries, leading to big increases in the number of SciDev.Net articles that have been republished.
Ben Deighton, SciDevNet
AlphaGalileo is a great source of global research news. I use it regularly.
Robert Lee Hotz, LA Times

Nous travaillons en étroite collaboration avec...


  • e
  • The Research Council of Norway
  • SciDevNet
  • Swiss National Science Foundation
  • iesResearch
Copyright 2025 by DNN Corp Terms Of Use Privacy Statement