Wirtschaftliche Ungleichheit erhöht Risiko für Bürgerkrieg
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Wirtschaftliche Ungleichheit erhöht Risiko für Bürgerkrieg


Steigt die wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb eines Landes, erhöht sich das Risiko für den Ausbruch eines Bürgerkriegs. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Tübingen nach der Auswertung von Daten aus zwei Jahrhunderten für insgesamt 193 Länder. Die Studie ist im Fachjournal Review of Income and Wealth erschienen.

Ein neu entwickelter Maßstab zur Berechnung von wirtschaftlicher Ungleichheit machte die Analyse über diesen langen Zeitraum möglich. Der Maßstab berücksichtigt Einkommen, Landbesitz und Abweichungen von der durchschnittlichen Körpergröße gleichermaßen. „Je weiter wir in die Geschichte zurückblicken, desto lückenhafter werden in Geld gemessene Einkommensdaten“, sagte Professor Jörg Baten vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte der Universität Tübingen und Leiter der Studie. Für den globalen Süden lägen beispielsweise vor 1980 kaum verlässliche Informationen vor. „Die Verteilung von Land und die Körpergröße dagegen sind einfacher zu messen und bis ins frühe 19. Jahrhundert gut dokumentiert“, so Baten.

Während individuelle Unterschiede in der Körpergröße stark von der genetischen Veranlagung abhängen, spielen sie für die durchschnittliche Körpergröße in einer Bevölkerung kaum eine Rolle. „Stattdessen beeinflussen Nahrung und der Zugang zu medizinischer Versorgung den durchschnittlichen Körperwuchs in einer Bevölkerung“, so Baten. Entsprechend stark weicht die Körpergröße von Einkommensgruppen innerhalb der Gesellschaften voneinander ab. Zum Beispiel: In den Jahrzehnten vor dem US-Bürgerkrieg 1861-65 stiegen die Unterschiede der Körpergröße zwischen ungelernten Arbeitern und höheren Einkommensgruppen von 1.6 auf 3.0 cm an (und auch die Unterschiede in der Gesamtbevölkerung). Durch ähnliche Indikatoren lassen sich Lücken in den Datenreihen über ungleiche Einkommensverteilung schließen.

Baten und sein Team setzten nun ihren neuen Maßstab für Ungleichheit mit der Zahl von Bürgerkriegen in einem Land pro Jahrzehnt in Beziehung. Dazu griffen sie auf die Datenbank „Correlates of War Project (COW)“ zurück. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser US-amerikanischen, digitalen Forschungsplattform definieren einen Krieg oder Bürgerkrieg als Konflikt mit über 1.000 Toten durch Kampfhandlungen in einem Jahr. Insgesamt bezog die Studie Datensätze aus 193 Ländern weltweit ein, wobei Grenzveränderungen berücksichtigt wurden.

Die Berechnungen ergaben einen statistisch auffälligen Zusammenhang zwischen ungleicher Einkommensverteilung und dem Ausbruch von Bürgerkriegen. Die Ergebnisse lassen sich anhand vergangener Ereignisse überprüfen: Beispielsweise war Land in Russland vor der Oktoberrevolution von 1917 extrem ungleich verteilt – was wesentlich zum Ausbruch von Revolution und Bürgerkrieg führte und von dem neuen Indikator auch mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit angezeigt wurde. Der neue Indikator macht auch Aussagen über das Risiko für Bürgerkriege heutzutage möglich: „In den USA ist die Ungleichheit der Einkommensverteilung in den vergangenen dreißig Jahren deutlich gestiegen. Entsprechend hat sich das Risiko eines Bürgerkriegs in den USA von 10 auf 21 Prozent drastisch erhöht", so Baten. Auch in Großbritannien, China, Indien und Russland sei im selben Zeitraum die Ungleichheit stark angestiegen.

Weitere Variablen: Bevölkerung, vorangegangene Bürgerkriege, Demokratie

„Wir haben überprüft, welchen Einfluss weitere Variablen auf den Ausbrauch von Bürgerkriegen hatten“, sagte Laura Radatz, Ko-Autorin der Studie. „So erhöhen die Größe eines Landes und seiner Bevölkerung natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Land irgendwo ein Bürgerkrieg ausbricht.“ Entsprechend führt China die Liste mit neun Bürgerkriegen in den vergangenen zweihundert Jahren an, gefolgt von Mexiko, Argentinien, Kolumbien, Äthiopien, dem Irak, Russland und der Türkei. „Außerdem erhöhen vorangegangene Bürgerkriege die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Waffengangs, zunehmende Demokratisierung dagegen verringern sie“, so Radatz. Die Höhe des Wirtschaftswachstums in einem Land habe laut der Studie keinen messbaren Einfluss auf das Risiko eines Bürgerkriegs.

Die Forschenden diskutieren auch, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen die ungleiche Einkommensverteilung und damit die Gefahr eines Bürgerkriegs reduzieren können. Eine progressivere Einkommenssteuer oder besserer Zugang zu hochwertiger Bildung für weite Teile der Bevölkerung erhöhten die Gleichheit in einem Land – und reduzierten die Gefahr eines Bürgerkriegs.

„Die Studie ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Dynamik von Bürgerkriegen. Wirtschaftliche Ungleichheit wird in der Literatur häufig als Grund für Konflikte genannt. Nun gibt es auch ein neues statistisches Maß zur Berechnung für diesen Zusammenhang in langfristiger und globaler Perspektive“, sagte Prof. Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann, Rektorin der Universität Tübingen.
Laura Radatz, Jörg Baten: „Measuring Multidimensional Inequality and Its Impact on Civil War Out-break in 193 Countries, 1810-2010”, Review of Income and Wealth, 2025, https://doi.org/10.1111/roiw.70016
Regions: Europe, Germany, Latin America, Argentina, Colombia, Mexico, Asia, China, India, Middle East, Iraq, North America, United States
Keywords: Society, Social Sciences, Business, Agriculture & fishing, Defence & security, Well being

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