Prothesen durch Gedankenkraft steuern
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Prothesen durch Gedankenkraft steuern


Forschende des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben herausgefunden, dass sich das Gehirn großflächig über mehrere Hirnregionen neu organisiert, wenn es lernt, Bewegungen mit Hilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle in einer virtuellen Umgebung auszuführen. So konnte gezeigt werden, wie sich das Gehirn anpasst, wenn es motorische Prothesen steuert. Die Erkenntnisse helfen nicht nur, die Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen voranzutreiben, sondern verbessern auch unser Verständnis der grundlegenden neuronalen Prozesse, die dem motorischen Lernen zugrunde liegen (PLOS Biology).

Um präzise Bewegungen auszuführen, muss sich das motorische System unseres Gehirns kontinuierlich neu kalibrieren. Wenn wir einen Basketballkorb treffen wollen, dann klappt das gut mit dem vertrauten Basketball, braucht aber extra Übung, mit einem leichteren oder schwereren Ball. Unser Gehirn nutzt die Abweichungen von dem erwarteten (Wurf-)Ergebnis als Fehlersignal, um bessere Befehle für den nächsten Wurf zu erlernen. Diese Leistung muss das Gehirn auch erbringen, wenn es über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle (engl.: brain-computer interface, BCI) eine Bewegung steuern will, beispielsweise die einer Neuroprothese. Unklar war dabei bislang, welche Regionen des Gehirns das zu erwartende Ergebnis der Bewegung widerspiegeln (die Flugbahn des Balls), welche das Fehlersignal und welche das korrigierte Bewegungskommando, das den vorhergehenden Fehler kompensieren will.

Um sich diesen Fragen zu nähern, untersuchten die Forschenden das motorische Lernen in den Hirnregionen von Rhesusaffen, die für die Steuerung von Arm- und Greifbewegungen verantwortlich sind. Die frontalen Areale sind unter anderem für die Planung und Ausführung von Bewegungen durch das Senden der entsprechenden Signale an die Muskeln verantwortlich. Parietale Hirnregionen spielen eine Schlüsselrolle bei der Integration sensorischer, insbesondere visueller Signale und helfen somit beispielsweise die Position des Bewegungsziels im Raum zu bestimmen.

Die Rhesusaffen wurden darauf trainiert, einen Computercursor über ein BCI in einer dreidimensionalen virtuellen Umgebung allein durch ihre Gedanken zu bewegen. Dabei wurde die Aktivität der Nervenzellpopulationen in den entsprechenden Hirnarealen gemessen. Mit Hilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens interpretierte das BCI kontinuierlich die Gehirnaktivitätsmuster der Tiere und übersetzte sie in eine Bewegung. Auf diese Weise konnte der Algorithmus des BCI so verändert werden, dass die Übersetzung systematisch falsch war, ohne die natürlichen Bewegungsfähigkeiten der Tiere zu beeinträchtigen. Die Bewegung, die die Tiere auf dem Bildschirm sahen, entsprach somit nicht der Bewegung, an die die Tiere zuvor „gedacht“ hatten. Infolgedessen mussten die Affen ihre Gehirnaktivität wiederholt anpassen, um diese experimentell provozierten Fehler auszugleichen. Dies ermöglichte es den Forschenden, den Lernprozess im Gehirn im Detail zu untersuchen.

Die Ergebnisse zeigen im Einklang mit früheren Befunden, dass das Gehirn diese Aufgabe lösen kann, ohne seine Netzwerkverbindungen umzustrukturieren. Das Gehirn greift auf eine schon vorhandene Lösung zurück, also auf eine grundsätzlich für das Gehirn bekannte Bewegung, so, als würde man einfach in eine andere Richtung zielen, um die Flugeigenschaften des neuen Balls zu korrigieren. In anderen Lernsituationen muss das Gehirn gänzlich neue Bewegungsabläufe erlernen, und dafür Nervenverbindungen ändern oder neu verknüpfen, was sich hier als nicht notwendig herausgestellt hat. Das ist für Neuroprothesen erstrebenswert, denn es erleichtert das Erlernen mit deren Umgang.

Überraschenderweise spiegeln dabei, so die neuen Befunde, unterschiedliche Regionen des Gehirns gemeinsam die korrigierten Bewegungskommandos wider, nicht wie zuvor vermutet, in einem Teil der Großhirnrinde das Bewegungskommando an die Muskeln und im anderen die vorhergesagte sensorische Konsequenz dieses Bewegungskommandos. Letztere beschreibt eine Erwartung darüber, wie die eigene Bewegung sensorisch erlebt (gesehen und gefühlt) werden wird. Im Alltag haben diese beiden Komponenten der Bewegungskontrolle meist sehr ähnliche Eigenschaften und die dafür zuständigen Hirnregionen sind deshalb schwer zu unterscheiden. Durch die spezielle Versuchsanordnung konnten diese Komponenten voneinander getrennt und unabhängig untersucht werden. Die zuvor vermutete Funktionsaufteilung zwischen parietalen und frontalen Hirnregionen hat sich dabei als nicht zutreffend herausgestellt.

„Die Studie zeigt, dass der parietale Teil des Gehirns nicht die erwartete sensorische Konsequenz der Bewegung widerspiegelt, sondern vielmehr einen korrigierten motorischen Befehl, so wie auch der frontale Bereich des Gehirns“, sagt Enrico Ferrea, leitender Forscher der Studie. Dies war überraschend, da parietale Teile des Gehirns eher dafür bekannt sind, sensorische Informationen aus verschiedenen Sinnesorganen zusammenzuführen. Das bedeutet, dass sich die Gehirnrinde großflächig und einheitlich anpasst, um unsere Bewegungsplanung an veränderte Bedingungen neu auszurichten.

„Die Studie ist ein wichtiger Schritt vorwärts in unserem Verständnis von Lernprozessen während der Bewegungsplanung und -steuerung“, sagt Alexander Gail, Leiter der Forschungsgruppe Sensomotorik am DPZ. „Indem wir verstehen, wie das Gehirn Bewegungen neu kalibriert, können wir effektivere Prothesen entwickeln, um die Motorik bei Menschen mit Lähmungen oder anderen motorischen Störungen wiederherzustellen.“
Ferrea E, Morel P, Gail A (2025): Frontal and parietal planning signals encode adapted motor commands when learning to control a brain-computer interface. PLoS Biology 23(9): e3003408. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3003408
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  • Grafische Darstellung eines Rhesusaffen-Gehirns. Farbig sind die Hirnareale markiert, die für die Steuerung von Arm- und Greifbewegungen eine Rolle spielen. gelb: prämotorische Rinde, grün: motorische Rinde, blau: mediales intraparietales Areal. Grafik: Vladyslav Ivanov, erstellt mit AFNI_25.2.18, https://afni.nimh.nih.gov/
  • Eine Neuroprothese. Künstliche Hände, Arme oder Beine können Menschen mit Behinderungen ihre Mobilität zurückgeben. Wie das Gehirn lernt, solche Prothesen über Gehirn-Computer-Schnittstellen zu steuern, war eine Frage der Studie. Foto: Sebastian Lehmann
  • Ein Rhesusaffe in der Tierhaltung am Deutschen Primatenzentrum. Foto: Karin Tilch
Regions: Europe, Germany, United Kingdom, North America, United States
Keywords: Science, Life Sciences

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