Der Zellkern gleicht einem Banktresor, den die Kernporenkomplexe (NPC) wie ein hochentwickeltes Sicherheits-System schützen. Nur Proteine mit dem richtigen «Schlüssel» – spezielle Transportfaktoren – erhalten exklusiven Zugang. Auf diese Weise kontrolliert das System, welche Substanzen in den Zellkern gelangen oder ihn verlassen. Diese enge Kontrolle ist unerlässlich, um die reibungslose Kommunikation zwischen dem im Inneren geschützten Genom und den zellulären Maschinen im Aussenbereich zu gewährleisten.
Neue biologische Erkenntnisse dank Nanowissenschaft
Trotz ihrer Bedeutung sind die inneren Abläufe in Kernporenkomplexen nach wie vor ein Rätsel. Ihr Transportkanal ist mit hochflexiblen Proteinfäden ausgekleidet – den FG-Nukleoporinen (FG Nups). Sie bilden eine selektive Barriere, deren ultrafeine Struktur selbst den leistungsstärksten Elektronenmikroskopen verborgen bleibt. Da die FG Nups ausserhalb der Zellen gelartige Gebilde bilden können, haben ältere Modelle die Funktion der Kernporenkomplexe mit einem starren Sieb verglichen.
Nun hat ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Roderick Lim, Argovia-Professor für Nanobiologie am Biozentrum und Swiss Nanoscience Institute der Universität Basel, mit Hilfe der Hochgeschwindigkeits-Rasterkraftmikroskopie (HS-AFM) bisher nie gesehene Bewegungen im Nanometerbereich mit einer Millisekunden-Auflösung direkt im Inneren der Poren gefilmt. Die Forschenden haben die Entdeckung der aussergewöhnlichen Umstrukturierungen innerhalb der Kernporenkomplexe nun im Fachjournal «Nature Cell Biology» veröffentlicht.
«Die Kernporenkomplex-Barriere ist lose durch einen beweglichen zentralen Pfropfen organisiert, dessen Bestandteile lange Zeit rätselhaft waren. Es hat sich herausgestellt, dass er aus einer dynamischen Mischung aus Transportfaktoren, Frachtmolekülen und FG-Nups besteht, die sich entlang der zentralen Achse der Pore vermischen. Dadurch entsteht ein hochgradig anpassungsfähiges System, das die Barriere verstärkt und gleichzeitig einen schnellen selektiven Transport gewährleistet,» erklärt Lim.
Mit dem Strom schwimmen
Das Team entdeckte diese dynamische Organisation bei der Untersuchung von Kernporenkomplexen aus Hefezellen. Die resultierenden Hochgeschwindigkeits-AFM-Filme zeigten auch die fliessenden Bewegungen der FG-Nups, die zum zentralen Pfropfen in Inneren der Pore «ausstrahlen».
«Wenn wir isolierte Kernporenkomplexe über längere Zeit unter kontrollierten Bedingungen beobachteten, verschwand der zentrale Pfropfen der Kernporenkomplexe. Fügten wir wieder nukleare Transportfaktoren hinzu, bildete er sich wieder», berichtet Dr. Toshiya Kozai, Erstautor der Studie. Bemerkenswerterweise stellten Transportfaktoren auch in künstlichen Nanoporen eine den Kernporenkomplexen ähnliche Barrierefunktion wieder her – ein Hinweis auf die Allgemeingültigkeit dieses Mechanismus.
Hydrogele ähneln Schwämmen mit Löchern
Kernporenkomplexe werden oft mit Hydrogelen verglichen. «Das liegt daran, dass FG-Nups in vitro – also im Reagenzglas – Hydrogele bilden, die jedoch tausendmal grösser sind als die Kernporenkomplexe. Sie bestehen allerdings aus verwickelten faserartigen Strukturen, die einfach zu gross sind, um in einen Kernporenkomplex zu passen, geschweige denn der gesamte Hydrogelkörper selbst», erklärt Lim.
«Als wir die Hydrogele genauer untersuchten, stellten wir fest, dass sie mit Löchern von unregelmässiger Form und Grösse übersät waren – wie ein Küchenschwamm. Viele dieser Löcher waren so gross wie Kernporenkomplexe oder sogar grösser. Sie konnten möglicherweise ein Verhalten imitieren, das dem der Kernporenkomplexe ähnelt.»
Herausforderungen für die Zukunft
Das in der Studie aufgezeigte selbstorganisierte, dynamische Verhalten bietet eine einheitliche Sichtweise auf Kernporenkomplexe, die mit langjährigen strukturellen und biochemischen Beobachtungen übereinstimmt – mit Auswirkungen, die von der grundlegenden Zellbiologie bis hin zum Design intelligenter Filter und Arzneimittelabgabesysteme reichen.
Die Einschränkung des dynamischen Zustands der Poren beeinträchtigt den selektiven Transport in den Zellkern, was verdeutlicht, wie wichtig dieses Verhalten für die ordnungsgemässe Funktion der Zelle ist.
«Die nächste Herausforderung besteht darin, zu verstehen, wie Zellen diese bemerkenswerten Nanomaschinen als Reaktion auf sich verändernde Bedürfnisse feinabstimmen – wie sich die Poren an Stress anpassen, das Wachstum regulieren und, wenn sie verstopft sind, zu Krankheiten beitragen“, fügt Prof. Dr. Michael Rout von der Rockefeller University hinzu, der die Arbeit mitgeleitet hat.
Die Arbeit basiert auf einer internationalen Zusammenarbeit zwischen Forschenden des Biozentrums und des Swiss Nanoscience Institute der Universität Basel (Schweiz), der Rockefeller University (New York, USA), der Ikerbasque Foundation for Science (Bilbao, Spain), dem Biofisika Institute-CSIC-UPV/EHU-Fundacion Biofisika Bizkaia (Leioa, Spain), der University of Groningen (Niederland), der Hebrew University of Jerusalem (Israel), der University of California, San Francisco (USA), der Yale University (West Haven, USA), und der Yale School of Medicine (New Haven, CT, USA).
Regions: Europe, Switzerland, Spain, United Kingdom, Middle East, Israel, North America, United States
Keywords: Science, Life Sciences